Verfassungsrechtler: Social-Media-Verbot verletzt Grundrechte - epd medien

21.11.2025 04:45

Social Media wird immer mehr zum Problem für Kinder und Jugendliche. Politiker, Eltern und sogar Jugendliche sprechen sich für Regulierungen oder Verbote aus. Der Verfassungsrechtler Boehme-Neßler hält ein Mindestalter jedoch für problematisch.

Jugendliche nutzen die Angebote von soziale Netzwerken vor allem auf dem Smartphone

Oldenburg (epd). Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält ein Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche unter 14 oder 16 Jahren für verfassungsrechtlich bedenklich. Mit einem solchen Verbot würden gleich mehrere Grundrechte eingeschränkt, sagte der Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikationsrecht dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu zählten das Recht der Jugendlichen auf freie Meinungsäußerung und auf die freie Wahl der Informationsbeschaffung. Auch das in Artikel sechs des Grundgesetzes festgeschriebene Erziehungsrecht der Eltern würde mit einem Verbot beschnitten.

Ein solcher Eingriff müsse stets gut begründet und verhältnismäßig sein, betonte Boehme-Neßler. Aus seiner Sicht gebe es aber weniger einschneidende Methoden, die Kinder ebenso gut vor gefährlichen Inhalten auf Tiktok, Instagram und anderen Plattformen schützen könnten. Dazu gehöre etwa die im "Digital Services Act" (DSA) der Europäischen Union aufgeführte Verpflichtung für die Anbieter, altersabhängig jugendgefährdende Inhalte und Seiten zu sperren. "Das ist eine mildere Lösung, die zunächst ausprobiert werden sollte." Der DSA gelte erst seit einem Jahr, erste Ergebnisse sollten abgewartet werden: "Ein Verbot sollte immer die Ultima ratio bleiben."

Das Grundgesetz ist freiheitlich orientiert

Grundsätzlich sei das Grundgesetz eher freiheitlich orientiert, sagte der Professor der Universität Oldenburg. Deshalb sei auch die Erziehung zuerst Aufgabe der Eltern: "Das Grundgesetz will keinen Staat, der sich zu sehr in das Privatleben einmischt." Die Eltern und auch die Schule müssten ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag gerecht werden und die Kinder auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit Sozialen Medien vorbereiten. "Eltern müssen sich mehr Mühe geben und nicht nach dem Staat rufen, wenn es schwierig wird."

Ein einzelner Staat wie Deutschland hätte Boehme-Neßler zufolge auch aufgrund der Internationalität der Plattform-Betreiber Schwierigkeiten, ein nationales Verbot zu verwirklichen. Diese müssten mitwirken, indem sie etwa per digitalem Identitätsnachweis nur Menschen über einer bestimmten Altersgrenze einen Account erlaubten. "Wenn diese Firmen aber etwa in Irland ihren Europa-Sitz haben, hätte Deutschland ein Problem mit der Durchsetzung."

Herkunftslandprinzip in der EU

Dass Staaten wie Dänemark oder Griechenland dennoch die Einführung eines Mindestalters angekündigt haben, sieht der Medienrechtler als einen Versuch an. "Wenn manche Staaten vorpreschen, kommt möglicherweise eine Dynamik in die Debatte, die dann tatsächlich zu einem EU-weiten Verbot führt." Dafür spreche, dass auch die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sich bei ihrem Gipfel in Brüssel Ende Oktober für ein Mindestalter bei Social Media ausgesprochen hätten.

Der Medienrechtler Stephan Dreyer hatte kürzlich dem epd gesagt, dass europäisches Recht eine deutsche Regelung aushebeln würde. Für Online-Anbieter, die sich in der EU niedergelassen hätten, gelte das Herkunftslandprinzip, also das nationale Recht ihrer Niederlassung, sagte er. Auch Dreyer zufolge sprechen die Kinderrechte gegen ein Verbot von Social-Media-Angeboten für unter 14-Jährige. Sinnvoller wäre es, Online-Angebote altersangemessen zu gestalten, sagte der Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Medienforschung - Hans-Bredow-Institut.

lnb



Zuerst veröffentlicht 21.11.2025 05:45 Letzte Änderung: 21.11.2025 09:42

Schlagworte: Medien, Internet, Kinder, Soziale Netzwerke, Boehme-Neßler, lnb, NEU

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